PD Dr. Susanne Weis: Geschlechterunterschiede in der Hirnforschung
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen werden seit Jahrzehnten in Studien erforscht und bis heute oft zitiert. So sollen Frauen bessere sprachliche Wahrnehmungs- und Artikulations-Fähigkeiten haben, während Männer bei räumlichen und mathematischen Fähigkeiten sowie Problemlösungen besser sind. Doch schaut man genauer auf die Daten, dann ist das Bild nicht mehr so klar. Ein Beispiel: Beim bekannten mentalen Rotationstest mit Würfelfiguren schnitten Männer insgesamt zwar besser ab als Frauen, aber es zeigten sich doch große Überlappungen zwischen beiden Gruppen und - so die Jülicher Gehirnforscherin Dr. Susanne Weis - "vor allem sieht man, dass derjenige, der es am besten konnte, eben doch eine Frau war".
Nicht nur bei den kongnitiven Fähigkeiten, sondern auch bei der Untersuchung der Gehirnstruktur stellt sich heraus, dass "klassische" Gruppenvergleiche zwar hochsignifikante Geschlechterunterschiede zeigen können; doch angesehen vom Hirnvolumen, dass bei Männern größer als bei Frauen ist, sind diese Ergebnisse recht inkonsistent. Ähnlich ist es bei der Untersuchung von Gehirnfunktionen: Laut der viel zitierten Shaywitz-Studie aus dem Jahr 1995 brauchen Männer für Sprachfunktionen nur die linke Gehirn-Hemisphäre, während Frauen beide Hemisphären nutzen. Allerdings wurde diese Studie nur mit 19 Männern und 19 Frauen durchgeführt, und die beschriebenen Geschlechterunterschiede zeigten sich auch nur bei einer speziellen Aufgabe (Reime bilden).
Generell haben klassische Gruppenstudien also das Problem, dass sie immer nur Aussagen über einen Mittelwert einer speziellen Gruppe von Testpersonen zulassen, aber keinerlei Rückschlüsse auf einzelne Individuen erlauben. Zudem liegt den Gruppenstudien die Annahme zugrunde, dass wir es nur mit zwei verschiedenen Ausprägungen des Geschlechtes zu tun haben. Deshalb setzen Forscher:innen zunehmend auf Künstliche Intelligenz, um in großen Datensätzen aus gemischten Probandengruppen Muster zu erkennen. Mit dem Ergebnis, dass die Algorithmen schon mit einer recht guten Genauigkeit Vorhersagen über das Geschlecht zu treffen vermögen. "Aber sie können uns noch nicht sagen, wo denn jetzt diese Unterschiede zwischen Mann und Frau stecken."
In Jülich betrachteten die Wissenschaftler:innen mittels KI rund 400 Gehirnregionen von Probanden, die im Ruhezustand in einen FMRT-Scanner geschoben wurden, um Geschlechterunterschiede der Gehirnfunktionen herauszufinden. Dabei erzielten sie in einzelnen Regionen eine Unterscheidbarkeit von knapp 80 Prozent (zur Ehrenrettung der klassischen Studien sei gesagt, dass diese Resultate zu jenen der alten Verhaltensstudien passten). Es zeigte sich auch, dass die Modelle, die auf dem frei zugänglichen HCP-Datensatz (400 Menschen im Alter von 22 bis 37 Jahren) trainiert wurden, erfolgreich auf andere Datensätze wie den in Jülich selbst erhobenen Datensatz 1000Brains angewendet werden konnten - die Generalisierbarkeit der Modelle ist also gegeben.
Allerdings muss bei der Ermittlung des Geschlechts anhand von Hirndaten mittels Künstlicher Intelligenz auf Verzerrungen ("Biases") geachtet werden: So stellten die Jülicher Forscher:innen anhand eines großen Daten-Samples fest, dass die KI das Geschlechte mit 96-prozentiger Wahrscheinlichkeit anhand der Gehirnstruktur vorhersagen konnte, "was ja erst einmal großartig klingt", so Weis. Bei genauerer Prüfung stellte sich allerdings heraus, dass der Algorithmus, anstatt organisatorische oder fundamentale Unterschiede im Gehirn zu identifizieren, Männer und Frauen einfach anhand des Hirnvolumens klassifiziert hatte, obwohl die Größe keine Relevanz auf das Gehirn an sich hat - Männer sind im Durchschnitt größer als Frauen und haben deshalb auch größere Gehirne. Als die Forscher:innen diesen Bias korrigierten, sank die Genauigkeit um zehn Prozent.
"In Summe kann man also sagen: Ja, maschinelles Lernen ermöglicht die Vorhersage des Geschlechts, im Moment anhand der Struktur besser als anhand der Funktion. Was darauf hinweist, dass es gewisse geschlechtertypische Muster und Strukturen gibt, aber definitiv keinen sexuellen Dimorphismus", erklärte Weis. Mit anderen Worten: Es gibt keine "typisch" männlichen oder weiblichen Gehirne, sondern zahlreiche Überlappungen, wie auch die Forschung zum Human Brain Mosaic gezeigt hat. Das Gehirn ist hochgradig plastisch in jeder Lebensphase, und diese Plastizität wird von vielen biologischen und sozialen Faktoren moduliert - das Geschlecht ist "nur" einer davon.
Nicht nur bei den kongnitiven Fähigkeiten, sondern auch bei der Untersuchung der Gehirnstruktur stellt sich heraus, dass "klassische" Gruppenvergleiche zwar hochsignifikante Geschlechterunterschiede zeigen können; doch angesehen vom Hirnvolumen, dass bei Männern größer als bei Frauen ist, sind diese Ergebnisse recht inkonsistent. Ähnlich ist es bei der Untersuchung von Gehirnfunktionen: Laut der viel zitierten Shaywitz-Studie aus dem Jahr 1995 brauchen Männer für Sprachfunktionen nur die linke Gehirn-Hemisphäre, während Frauen beide Hemisphären nutzen. Allerdings wurde diese Studie nur mit 19 Männern und 19 Frauen durchgeführt, und die beschriebenen Geschlechterunterschiede zeigten sich auch nur bei einer speziellen Aufgabe (Reime bilden).
Generell haben klassische Gruppenstudien also das Problem, dass sie immer nur Aussagen über einen Mittelwert einer speziellen Gruppe von Testpersonen zulassen, aber keinerlei Rückschlüsse auf einzelne Individuen erlauben. Zudem liegt den Gruppenstudien die Annahme zugrunde, dass wir es nur mit zwei verschiedenen Ausprägungen des Geschlechtes zu tun haben. Deshalb setzen Forscher:innen zunehmend auf Künstliche Intelligenz, um in großen Datensätzen aus gemischten Probandengruppen Muster zu erkennen. Mit dem Ergebnis, dass die Algorithmen schon mit einer recht guten Genauigkeit Vorhersagen über das Geschlecht zu treffen vermögen. "Aber sie können uns noch nicht sagen, wo denn jetzt diese Unterschiede zwischen Mann und Frau stecken."
In Jülich betrachteten die Wissenschaftler:innen mittels KI rund 400 Gehirnregionen von Probanden, die im Ruhezustand in einen FMRT-Scanner geschoben wurden, um Geschlechterunterschiede der Gehirnfunktionen herauszufinden. Dabei erzielten sie in einzelnen Regionen eine Unterscheidbarkeit von knapp 80 Prozent (zur Ehrenrettung der klassischen Studien sei gesagt, dass diese Resultate zu jenen der alten Verhaltensstudien passten). Es zeigte sich auch, dass die Modelle, die auf dem frei zugänglichen HCP-Datensatz (400 Menschen im Alter von 22 bis 37 Jahren) trainiert wurden, erfolgreich auf andere Datensätze wie den in Jülich selbst erhobenen Datensatz 1000Brains angewendet werden konnten - die Generalisierbarkeit der Modelle ist also gegeben.
Allerdings muss bei der Ermittlung des Geschlechts anhand von Hirndaten mittels Künstlicher Intelligenz auf Verzerrungen ("Biases") geachtet werden: So stellten die Jülicher Forscher:innen anhand eines großen Daten-Samples fest, dass die KI das Geschlechte mit 96-prozentiger Wahrscheinlichkeit anhand der Gehirnstruktur vorhersagen konnte, "was ja erst einmal großartig klingt", so Weis. Bei genauerer Prüfung stellte sich allerdings heraus, dass der Algorithmus, anstatt organisatorische oder fundamentale Unterschiede im Gehirn zu identifizieren, Männer und Frauen einfach anhand des Hirnvolumens klassifiziert hatte, obwohl die Größe keine Relevanz auf das Gehirn an sich hat - Männer sind im Durchschnitt größer als Frauen und haben deshalb auch größere Gehirne. Als die Forscher:innen diesen Bias korrigierten, sank die Genauigkeit um zehn Prozent.
"In Summe kann man also sagen: Ja, maschinelles Lernen ermöglicht die Vorhersage des Geschlechts, im Moment anhand der Struktur besser als anhand der Funktion. Was darauf hinweist, dass es gewisse geschlechtertypische Muster und Strukturen gibt, aber definitiv keinen sexuellen Dimorphismus", erklärte Weis. Mit anderen Worten: Es gibt keine "typisch" männlichen oder weiblichen Gehirne, sondern zahlreiche Überlappungen, wie auch die Forschung zum Human Brain Mosaic gezeigt hat. Das Gehirn ist hochgradig plastisch in jeder Lebensphase, und diese Plastizität wird von vielen biologischen und sozialen Faktoren moduliert - das Geschlecht ist "nur" einer davon.